22.06.2020
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Jurist*innen schlagen Alarm: Bundesregierung macht sich durch Verträge mit Braunkohleunternehmen klimapolitisch erpressbar

Die Umweltjurist*innen von ClientEarth warnen die Bundesregierung eindringlich davor, das umstrittene Kohlegesetz gemeinsam mit den öffentlichen Verträgen zu verabschieden. Neue Analysen zeigen, dass Braunkohleunternehmen durch die Verträge mit der Bundesregierung dringend notwendige Klimapolitik in den kommenden Jahren erschweren, wenn nicht sogar verhindern können.

Die Jurist*innen fordern die Regierung daher auf, keine Verträge mit den Betreibern abzuschließen. 

In einem Brief an Bundeswirtschaftsminister Altmaier und Bundesumweltministerin Schulze weisen die Jurist*innen auf zwei neue rechtliche Analysen hin, die grundlegende Probleme mit der aktuellen Fassung des Entwurfs zum Kohlegesetz und den Braunkohleverträgen zeigen. Vor allem zeigen die neuen Analysen, dass die Bundesregierung trotz der vertraglichen Vereinbarungen zur Zielscheibe für künftige Rechtsstreitigkeiten mit Betreibern werden könnte. Künftige Klimaschutzmaßnahmen könnten von den Betreibern als Vertragsbruch ausgelegt und sie sich diese – ein weiteres Mal - teuer entschädigen lassen.

Die Jurist*innen ermahnen die Bundesregierung daher, von vertraglichen Vereinbarungen abzusehen und stattdessen den Braunkohleausstieg durch Ordnungsrecht zu beschließen – diese Möglichkeit wurde sowohl von der Kohlekommission als auch im Gesetzesentwurf vorgesehen.  

ClientEarth Juristin Ida Westphal sagt: "Die Kohleausstiegsregelung mit den vertraglichen Vereinbarungen als Kern sollte rechtlich nicht umgesetzt werden. Das vorrangige Ziel dieses Gesetzes ist der Ausstieg aus der Kohle, um das Klima zu schützen. Das bedeutet, dass schnelles Handeln erforderlich ist und Klimaziele priorisiert werden müssen. Was wir stattdessen vorfinden, ist eine vertragliche Regelungsweise zugunsten der Betreiber und zulasten von Umwelt und Klima. So würden durch Steuergelder finanzierte Milliardengeschenke praktisch ohne Gegenleistung an die Kohleunternehmen festgeschrieben und die Regierung sich bei künftigen Entscheidungen zugunsten des Klimaschutzes erpressbar machen.”

"Mit Unterzeichnung der Verträge wären die Hände von Gesetzgeber und Regierung in Zukunft stark gebunden. Wir riskieren, einer kolossal teuren Vereinbarung ausgeliefert zu werden, die gleichzeitig eine Katastrophe für das Klima bedeutet. Wenn unsere Minister*innen glaubwürdig sein wollen, müssen sie einen Vorschlag auf den Tisch legen, der nicht nur einseitig die Interessen der Betreiber berücksichtigt”, so Westphal weiter. 

"Letztlich besteht die einzig tragbare Lösung darin, den Ausstieg ordnungsrechtlich in einer Rechtsverordnung zusätzlich zum Gesetz und nicht durch im Hinterzimmer getroffene Vereinbarungen festzulegen. Diese Verträge dienen einzig und allein dazu, Kohleunternehmen zu beschwichtigen, die schon lange wissen, dass ihre Tage gezählt sind.”

In den rechtlichen Analysen werden eine Reihe wichtiger Aspekte im Zusammenhang mit dem Kohlegesetz aufgeworfen: 

  • Vertragliche Vereinbarungen für eine Entscheidung mit der Tragweite des Kohleausstiegs sind rechtlich unerprobt und können das von der Regierung angestrebte Ziel der Rechts- und Planungssicherheit für den Ausstieg daher nicht gewährleisten.
  • Die vertraglichen Vereinbarungen wurden hinter verschlossenen Türen mit den Braunkohlebetreibern ausgehandelt. Diese intransparente Vorgehensweise geht zulasten der Demokratie sowie des Klima- und Umweltschutzes.
  • Die Verträge setzen die Regierung zusätzlichen Schadensersatzzahlungen aus, wenn künftige Klimaschutzmaßnahmen von den Betreibern als Vertragsbruch angesehen werden.
  • Es besteht die Gefahr, dass Kohlekraftwerke durch das Kohlegesetz länger am Netz bleiben als unter wirtschaftlichen Bedingungen
  • Die neue Sicherheitsbereitschaft für die LEAG verstößt gegen EU-Recht (Strombinnenmarktverordnung).
  • Das Gesetz basiert auf Entschädigungen in Milliardenhöhe aus Steuergeldern, die die Bundesregierung den Kohlebetreibern versprochen hat - obwohl diese nach derzeitigem Informationsstand einer Prüfung durch die EU-Kommission nicht standhalten könnten.

 Die Rechtsanwälte und Autoren des Rechtsgutachtens über die öffentlich-rechtlichen Verträge mit den Braunkohlebetreibern  Hartmut Gaßner und Georg Buchholz von Gaßner, Groth, Siederer & Coll., bekräftigen: „Ob durch den Braunkohleausstiegsvertrag die Gefahr rechtlicher Auseinandersetzungen reduziert wird, wird man sehen. Die Betreiber von Braunkohleanlagen werden zwar auf Rechtsschutz gegen das Braunkohleausstiegsgesetz verzichten. Sie werden aber versuchen, den Vertrag so zu fassen, dass sie jede künftige Rechtsänderung, aus der sich mittelbar Nachteile für sie ergeben, als Verstoß gegen den Ausstiegsvertrag gerichtlich überprüfen lassen können. 

Die Betreiber haben dann zwar aktuell auf einen Rechtsstreit verzichtet, aber gute Argumente für künftige Rechtsstreitigkeiten. Das gilt insbesondere, wenn eine künftige Bundesregierung und ein künftiger Bundesgesetzgeber einen schnelleren Ausstieg für erforderlich halten oder die Anlagenbetreiber künftige, mittelbar einschränkende Regelungen für unvereinbar mit dem Braunkohleausstiegsvertrag erklären können.“

Derzeit wird erwartet, dass das Braunkohlegesetz noch vor der parlamentarischen Sommerpause vom Bundestag verabschiedet wird. 

Der Gesetzentwurf und die Empfehlungen der Kohlekommission sehen vor, dass die Bundesregierung einen ordnungsrechtlichen Kohleausstieg durch Rechtsverordnung statt durch vertragliche Vereinbarung wählt, wenn diese Vereinbarungen nicht bis zum 30. Juni 2020 abgeschlossen sind. 

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Prof. Dr. Hermann Ott

Vorstandsvorsitzender

ClientEarth - Anwälte der Erde

hott@clientearth.org

Telefon: 030/3080 9545