Fluchtursache Klimawandel

»Ein Drittel Bangladeschs wird am Ende dieses Jahrhunderts unter Wasser stehen. Die Malediven und etliche Inselstaaten werden verschwinden: unser Atlantis des einundzwanzigsten Jahrhunderts.«

Joseph Stieglitz (Wirtschaftswissenschaftler, Nobelpreisträger 2001)

Der Klimawandel als Ursache von klimabedingter Migration und Flucht

  • Humanitäre Katastrophen: Stürme, Regenfluten, Dürren, Überschwemmungen zerstören Hab und Gut sowie Lebensgrundlagen: Sie verschmutzen Trinkwasser und beschädigen die örtliche Landwirtschaft (Ernteausfälle, Bodenverlust, Infrastruktur), zwingen die Menschen zur unmittelbaren (oft nur zeitweiligen) Flucht; bis 2080: zusätzliche 600 Mio. Menschen von Hunger betroffen.
  • Steigende Wasserknappheit: Regenmengen nehmen ab, Schmelzflüsse führen weniger Wasser, regenarme Gebiete trocknen aus; bis 2080: zusätzliche 1–3 Mrd. Menschen ohne ausreichend Wasser.
  • Meeresspiegelanstieg: Hunderte Mio. Menschen in Küstengebieten (z.B. Hälfte Bangladeschs) bzw. Inseln (z.B. Kiribati und Tuvalu) sind allein bei steigendem Meeresspiegel von 1 m von dauerhaftem Landverlust bedroht.
  • Verlust von Ökosystemen und Biodiversität: Gefährdung von Ernährungssicherheit bzw. Lebensgrundlagen, insbesondere dort, wo Einkommensquellen unmittelbar von intakten Ökosystemen abhängen (z.B. Fischerei und Landwirtschaft).
  • Gesundheit: Weniger Wasser und steigende Temperaturen begünstigen Ausbreitung von Keimen und Krankheitserregern bzw. deren Überträgern.
  • Zunehmende Konflikte: Sinkende Verfügbarkeit von Wasser und Land führt zu wachsenden Spannungen, z.B. zwischen Bevölkerungsgruppen.

Migration erfolgt immer als Antwort auf ein Bündel von Ursachen, darunter Perspektivlosigkeit, Armut, Konflikte oder soziale Ausgrenzung. Der Klimawandel verschärft all diese Gründe.

Auch wenn deshalb Prognosen zum Ausmaß klimabedingter Migration schwierig sind, bestätigt eine kontinuierlich wachsende Zahl von Länderstudien, dass die Folgen des Klimawandels im Hinblick auf Migrations- und Fluchtbewegungen bereits heute dramatisch sind. So werden immer mehr Menschen zu Flucht, Migration und Umsiedlung gezwungen, weil die Lebensgrundlagen vor Ort nicht mehr gesichert sind bzw. Überleben unmöglich wird:

Mögliches Ausmaß von klimabedingter Migration im Jahr 2050:

IPCC (2007): Fourth Assessment Report

150 Mio. Menschen

Stern, Nicholas (2006): The Economics of Climate Change

200 Mio. Menschen

Myers (2001): Environmental refugees

212 Mio. Menschen

International Organization for Migration 2009: Migration, Environment and Climate Change

Bis 1 Mrd. Menschen

Aus Sicht der Klima-Allianz Deutschland reichen die bisher geplanten bzw. zugesagten Klimaschutzanstrengungen der Staaten – einschließlich Deutschlands – nicht aus, die Erwärmung unter 2 Grad Celsius zu halten – mit verheerenden Folgen vor allem in den Entwicklungsländern. Selbst wenn die globale Erwärmung unter der wichtigen 2-Grad-plus-Grenze bleibt, werden die klimatischen Veränderungen tief gehende Schäden anrichten. Selbst wenn es in einem surrealen Szenario gelänge, den Ausstoß von Treibhausgasen sofort auf null zu senken: Die Temperaturen würden wegen der verzögerten Wirkung der Treibhausgase in der Atmosphäre in den nächsten drei bis vier Jahrzehnten trotzdem ansteigen und als Resultat Menschen zu Migranten und Flüchtlingen machen.

Deshalb sind ein umso konsequenterer Klimaschutz und Hilfe bei der lokalen Anpassung an den Klimawandel nötig, um die Notwendigkeit und das Ausmaß von Migration und Flucht zu verringern. Hierbei ist ein zielgenauer Umgang mit den Betroffenen wichtig: Verschiedene Arten von Migration und Flucht erfordern eine zielgruppenspezifische Unterstützung (akute Nothilfe/Rehabilitierung, zeitweilig/dauerhaft, im Land/grenzüberschreitend, Totalverlust etc.).

Handlungsfelder – Vorschläge zur Diskussion
erarbeitet von Sophia Wirsching (Brot für die Welt) und Jan Kowalzig (Oxfam Deutschland)

1. Binnenmigration durch graduelle Veränderungen:

  • sich in UN für völkerrechtlich verbindliche  Rechte bei Binnenmigration einsetzen
  • andere Länder mehr und besser bei der Anpassung an den Klimawandel unterstützen
  • die Klimafinanzierung und den Anteil für Anpassung in der deutschen EZ erhöhen
  • feste finanzielle Zusagen an den Adaptation Fund und den Least Developed Countries Fund machen

2. Flucht vor Katastrophen:

  • das System der Humanitären Hilfe ausbauen
  • die Not- und Übergangshilfe (Koordination des Auswärtigen Amtes und des BMZ) besser verzahnen

3. Grenzüberschreitende Migration:

  • regionale Zusammenarbeit verstärken (z.B. bilaterale Abkommen zur Aufnahme betroffener Menschen)
  • Kooperationen durch EZ fördern
  • grenzüberschreitende Anpassungsmaßnahmen fördern
  • Nansen-Initiative weiterentwickeln

4. Schutz/Rechte bei grenzüberschreitender Migration/Flucht:

  • neues völkerrechtliches Abkommen/Instrument entwickeln, um Schutzansprüche betroffener Menschen einzuordnen und abzusichern
  • Kompensationsmöglichkeiten für betroffene Menschen/Gruppen ausloten

5. Migrationspolitik in Deutschland:

  • umsetzen, dass Menschen, die auf der Flucht vor dem Klima Schutz suchen, die gleichen Rechtsansprüche wie völkerrechtlich anerkannte Flüchtlinge haben (subsidiärer Schutz)
  • Zugangs- und Aufenthaltsmöglichkeiten für Schutzbedürftige verbessern
  • Asyl- und Migrationspolitik in Deutschland und Europa grundlegend reformieren und menschenwürdig gestalten

 

Weitere Infos zum Reformbedarf: UNHCR-Papier zum Flüchtlingsschutz, PRO ASYL

zurück

  • Klimabedingte Migration

    Hintergrund