Die Allianz fordert Bundeskanzler Olaf Scholz auf, die geplante deutsche Beteiligung an der Erschließung eines neuen Gasfeldes vor Senegals Küste aufzugeben. In einer gemeinsamen Pressekonferenz erklärten Vertreter*innen von Fridays for Future Senegal, Action Solidaire International, Fridays for Future Deutschland, Klima-Allianz Deutschland, Germanwatch und Misereor, der Aufschluss neuer Gas- und Ölfelder sei generell nicht mit dem 1,5 Grad-Limit vereinbar.
Darya Sotoodeh, Sprecherin Fridays for Future Deutschland: „Die Erschließung neuer Gasfelder im Senegal ist ein enormer Rückschritt für Klimagerechtigkeit. LNG-Importe in den aktuell geplanten Mengen werden in Deutschland nicht benötigt und die Einhaltung der Pariser Klimaziele ist mit ihnen nicht vereinbar. Die Bundesregierung muss ihrer globalen Verantwortung gerecht werden. Von der Gasförderung profitiert in erster Linie der Globale Norden, beziehungsweise die Konzerne, die die Projekte anleiten – in diesem Fall BP – während die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung vernachlässigt und ihre Forderungen übergangen werden.”
Yero Sarr, Sprecher Fridays for Future Senegal: „Scholz‘ Streben nach Gas im Senegal, um angeblich die deutsche Industrie anzutreiben, ist Neokolonialismus und würde die Lebensgrundlagen im Senegal zerstören, wo jeder sechste Arbeitsplatz im Fischereisektor liegt, der durch die geplanten Gasprojekte direkt bedroht ist. Um die Menschen vor Ort in meinem Land zu schützen und im Einklang mit dem 1,5 Grad-Limit zu bleiben, darf es kein neues Gas geben.”
Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch, Sprecher der Klima-Allianz Deutschland: „Bundeskanzler Scholz droht sein Wort zu brechen, das er beim G7-Gipfel in Elmau gegeben hat: Zusätzliche Gaslieferungen sollten nur als Ersatz für russisches Erdgas erfolgen, und zwar so, dass sie mit dem 1,5 Grad-Limit vereinbar sind. Die Bundesregierung hat bisher nicht einmal einen Prüfprozess anhand dieser Kriterien aufgesetzt. Es fehlen sogar Schätzungen, wie viel Gas überhaupt noch gebraucht wird, wenn zugleich die Energiewende beschleunigt wird. Eine ernsthafte Prüfung würde nach unserer Einschätzung ergeben, dass das Gas aus Senegal das 1,5 Grad-Limit gefährdet und dass es für Deutschlands Energiesicherheit nicht notwendig ist, wenn wir die Energiewende beschleunigen und ausreichend energieeffizienter werden. Wir fordern den KfW-Verwaltungsrat und insbesondere Wirtschaftsminister Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock auf, sich entschieden dafür einzusetzen, dass die neuen Leitlinien ohne Ausnahmen an das 1,5 Grad-Limit gebunden werden.”
Kathrin Schroeder, Abteilungsleiterin Politik und Globale Zukunftsfragen Misereor, Sprecherin der Klima-Allianz Deutschland: „Deutschland muss sich mit seinen Energiepartnerschaften unmissverständlich für eine Energieversorgung aus 100 Prozent erneuerbaren Energien starkmachen. Besonders die Länder des Globalen Südens brauchen langfristige Perspektive, um eine nachhaltige Entwicklung auf Basis erneuerbarer Energien in ihren Ländern gestalten zu können, ohne die fossilen Lager auszuschöpfen. Unsere Projektpartner weltweit beobachten immer wieder, dass die Ausbeutung fossiler Ressourcen lokale Gemeinschaften mit massiven Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen alleinlässt.”
Mamadou Barry, Action Solidaire International: „Entlang der 700 km langen senegalesischen Küste ist die Förderung von Öl und Gas zu einem existentiellen Thema geworden. Bevölkerungsgruppen, die vom Fischfang und verwandten Tätigkeiten leben, sind direkt von der Ankunft der Offshore-Stationen betroffen. Der Zugang zu ehemals freien und unter anderem fischreichsten Flächen ist für handwerkliche Kanus zum No-Go geworden. Die Auswirkungen der Ausbeutung von Gas und Öl müssen ausgeglichen werden. Die Ausbeutung muss fair und gerecht gegenüber der Bevölkerung von Saint-Louis, Mbour, Kayar, den Regionen Sine und Saloum und der Region Casamance sein.”
Hintergrund:
Unter Federführung des Wirtschaftsministeriums erarbeitet die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) derzeit neue Leitlinien für die Finanzierung von Öl- und Gasprojekten für ihr Eigengeschäft. Einem öffentlich gewordenen Entwurf zufolge sehen die Leitlinien pauschale Ausnahmen vor und ermöglichen neue Öl- und Gasprojekte bis September 2024 auch dann, wenn sie nicht 1,5 Grad-kompatibel sind. Dies beträfe unter anderem die finanzielle Beteiligung Deutschlands an einem neuen Gasfeld im Senegal, für die Bundeskanzler Olaf Scholz zuletzt warb. Die Deutsche Umwelthilfe und urgewald haben den Entwurf der Finanzierungsleitlinie der KfW in einer gemeinsamen Pressemitteilung veröffentlicht.
Auf der 27. UN-Klimakonferenz (COP27) in Glasgow haben sich Deutschland und 38 weitere Staaten dazu verpflichtet, bis Ende 2022 die direkte öffentliche Finanzierung für neue fossile Investitionen im Ausland zu beenden (Statement on International Public Support for the Clean Energy Transition). Davon ausgenommen werden können zeitlich begrenzte und klar definierte Projekte, die in Einklang mit dem Ziel des Pariser Klimaabkommens stehen, die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Die G7-Präsidentschaft hat unter dem Eindruck des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine mit Verweis auf die Energiesicherheit auch LNG-Investitionen als Möglichkeit hervorgehoben. Allerdings haben die G7-Staaten in Elmau klare Kriterien benannt: Gas-Investitionen dürfen nur zum kurzfristigen Ersatz von russischem Gas dienen, nicht in Konflikt zum 1,5 Grad-Limit stehen und weder in den Import- noch Exportländern zu neuen fossilen Pfadabhängigkeiten führen. Bisher hat die Bundesregierung aber kein Konzept entwickelt, um ihre Gasaktivitäten in anderen Ländern nach diesen Kriterien konsequent zu überprüfen.
Das NewClimate Institute kommt in einer aktuellen Studie zu deutschen Flüssiggasterminals zu dem Schluss, dass die derzeitigen Planungen für den Bau neuer LNG-Terminals die benötigten Bedarfe in Deutschland übersteigen und im Widerspruch stehen zu den Zielen des Pariser Klimaabkommens.
Die Klima-Allianz Deutschland, ein Bündnis aus rund 150 Organisationen, wozu auch Misereor gehört, hat sich heute der „Senegal-Deutschland Bürger*innen Allianz für Klimagerechtigkeit“ angeschlossen, die auf der UN-Klimakonferenz COP27 Ende November in Ägypten von zivilgesellschaftlichen Akteuren aus Senegal und Deutschland gegründet wurde. Der Aufruf ist hier abrufbar: https://fridaysforfuture.de/senegal-germany-peoples-alliance-for-climate-justice/
Aufzeichnung des Livestreams
Sie haben die Pressekonferenz verpasst? Hier können Sie sich die Aufzeichnung der Zoom-Konferenz ansehen (inkl. Simultandolmetschung Französisch-Deutsch) und hier den Livestream auf YouTube (nur Original-Ton).