Ungefähr jeder elfte Mensch in Deutschland lebt in einem Umkreis von 20 Kilometern um fünf der größten deutschen Flughäfen: Dort ist er oder sie in besonderem Maße ultrafeinen Partikeln aus dem Luftverkehr ausgesetzt, so das Ergebnis einer neuen Studie von CE Delft im Auftrag der Organisation Transport & Environment (T&E). Mit dieser Studie liegt eine erste datenbasierte Abschätzung der gesundheitlichen Auswirkungen von Ultrafeinpartikeln (UFP) im Luftverkehr in Europa vor. „Der Flugverkehr ist nicht nur die klimaschädlichste Form der Fortbewegung, er gefährdet durch Lärm und Luftverschmutzung auch direkt die Gesundheit von Menschen im Umfeld von Flughäfen“, fasst Anja Köhne, Referentin für klimaneutralen Flugverkehr bei der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch, zusammen.
Menschen, die in einem Umkreis von fünf Kilometern um einen Flughafen leben, atmen Luft ein, die im Durchschnitt zwischen 3.000 und 10.000 ultrafeine Partikel pro Kubikzentimeter enthält und sind somit besonders gefährdet für Krankheiten wie Bluthochdruck, Diabetes und Demenz.
Marte van der Graaf, Referentin für Luftfahrtpolitik bei T&E Deutschland, zieht das Fazit: „Das Wachstum des Luftfahrtsektors und die Anspruchshaltung der wenigen, meist wohlhabenden Vielflieger hat noch immer Vorrang vor der Gesundheit der großen Mehrheit der Bürger und vor allem vulnerabler Menschen.” Werner Kindsmüller, Präsident der Bundesvereinigung gegen Fluglärm (BVF), ergänzt: “Die Gesundheitsgefährdung durch den Luftverkehr wird sowohl auf nationaler wie auf europäischer Ebene ignoriert. Der gesetzliche Schutz vor krankmachendem Lärm bleibt weit hinter den Erkenntnissen der Lärmforschung zurück. Für ultrafeine Partikel gibt es in der Europäischen Union nicht einmal Grenzwerte. Deshalb fordern wir die künftige EU-Kommission auf, an den medizinischen Erkenntnissen orientierte Grenzwerte festzulegen.“
Laut BFV sind Gepäckabfertiger*innen an Flughäfen besonders großen Belastungen ausgesetzt. Sie atmen im Durchschnitt Luft mit 37.000 Partikeln pro Kubikzentimeter ein. Diese Belastung ist siebenmal höher als die der Flughafen-Beschäftigten, die in Innenräumen arbeiten.
Dabei könnte die Luftbelastung kurzfristig verringert werden: Derzeit enthält Kerosin - anders als Kraftstoffe für Autos - hohe Schwefelanteile, wodurch die Menge der Ultrafeinpartikel deutlich erhöht ist. Schwefel- und aromatenarmes Kerosin wäre jedoch kostengünstig herstellbar und sollte daher Standard werden. Damit könnten laut Studie Ultrafeinpartikel um bis zu 70 Prozent reduziert werden. „Im Straßen- und Schifffahrtssektor wurde dieser notwendige Schritt schon vor Jahren unternommen, aber im Flugverkehr herrschen noch Qualitätsstandards des letzten Jahrhunderts“, so Marte van der Graaf von T&E.
Mittelfristig muss fossiles Kerosin zunehmend durch synthetisches Kerosin auf Basis Erneuerbarer Energien ersetzt werden, das mit weniger Schadstoffen belastet ist. „Neben technischen Maßnahmen muss es aber vor allem um Strategien zur Verringerung des Flugverkehrs gehen“, betont Anja Köhne von Germanwatch. Nötig seien hierfür der zügige Ausbau des Bahnverkehrs, um deutlich mehr Reisen auf die Schiene zu verlagern, ein Bewusstseins- und Verhaltenswandel bei Dienstreisen und Vielfliegenden, und die Unterstützung von angepassten Unternehmensstrategien von Fluglinien, Flughäfen und Flugindustrie.
27.06.2024
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