Bericht zum #12 Berliner Klimagespräch: Ambitionierter Klimaschutz - Von der Straße in die Politik

Noch nie gab es so viel Unterstützung für ambitioniertere Klimapolitik. 1,4 Millionen Menschen in Deutschland haben sich für mehr Klimaschutz eingesetzt, Fridays for Future geht seit einem Jahr allwöchentlich auf die Straßen, in den unterschiedlichsten Formaten machen sich Menschen aus allen Schichten und gesellschaftlichen Gruppen stark. Prominente unterstützen die Anliegen. Wie können wir diese Energie in die notwendig bessere Klimapolitik umwandeln? Dies diskutierten wir mit spannenden Gästen und gleich fünf Mitgliedsorganisationen am 23. Januar in den Berliner Reinhardtstraßenhöfen.

Dr. Christiane Averbeck, Geschäftsführerin der Klima-Allianz Deutschland, erinnerte die rund 150 Gäste zur Begrüßung an einige Highlights der Klimabewegung: Bereits vor 13 Jahren wurde die Klima-Allianz Deutschland gegründet – wer hätte damals gedacht, dass zehntausende Menschen etwa zur COP25-Demo nach Bonn und zum Hambacher Wald kommen würden – wer hätte geahnt, dass wir gemeinsam mit Fridays for Future Millionen für ambitionierten Klimaschutz auf die Straßen bringen würden? Einen Anteil daran, der wohl kaum zu überschätzen ist, haben die Aktivistinnen Greta Thunberg und Luisa Neubauer. Letztere gehörte zu den geladenen Podiumsgästen, war jedoch durch das Jahrestreffen des Weltwirtschaftsforums in Davos verhindert. Ein kurzer Videogruß von den beiden leitete den Abend ein.

Die Journalistin Petra Pinzler führte als Moderatorin durch den Abend und stieg mit einem Interview am Stehtisch ein: Pauline Daemgen von Fridays for Future erläuterte, was sie und ihre Mitstreiter*innen in den kommenden Monaten planen und wie Anzeigen auf Tinder dazu beitrugen, für den Klimastreik am 20. November zu mobilisieren.

Auf dem Podium vertrat die Klima-Aktivistin Kathrin Henneberger die Meinung, dass in Zeiten der Ungerechtigkeit und Notstands ziviler Ungehorsam situationsbedingt legitim und teilweise sogar notwendig wäre. Sie berichtete von Erfahrungen aus Nordrhein-Westfalens Tagebauen, bei denen das Bild der Masse an Protestanten vor den Kohlebaggern die Problematik erst in die Öffentlichkeit und in die Medien brachte.

Michael Schäfer vom WWF rief die Klimabewegung in Deutschland dazu auf, das Momentum zu nutzen, das sich dieses Jahr mit dem EU-China-Gipfel ergeben wird. Der größte und der drittgrößte Klimaverschmutzer der Welt kommen im September in Leipzig zusammen. „Gemeinsam müssen sie endlich ernst machen mit dem Kampf gegen die Erderhitzung“, sagte Schäfer. Auf die Frage, ob die Umweltverbände neidisch auf den Erfolg der Fridays seien, entgegnete er: „Wenn man die Feuerwehrmänner in Australien fragt, ob sie neidisch auf den Regen sind, dann wären sie blöd, wenn sie Ja sagen würden. Insofern sind wir sehr froh, dass es die Fridays gibt.“

Doch warum handelt die Politik nicht, bei so viel Druck von der Straße? Ist unsere parlamentarische Demokratie etwa ungeeignet, ein Problem solch ungeheuren Ausmaßes wie die Klimakrise zu lösen? Bernd Ulrich, Chefredakteur der ZEIT, betonte, dass das deutsche Regierungssystem seine Mängel hätte, jedoch in seiner Form funktional sei. Problematisch sei nur die Besetzung. Ein Regierungswechsel ist seiner Meinung nach essentiell für grundlegende klimapolitische Veränderungen. Er ermutigte Aktivist*innen, sich in Parteien einzubringen und die Politik nicht aufzugeben, damit Transformation nicht nur zivilgesellschaftlich gefordert, sondern auch politisch umgesetzt werden könne.

Eine neue Herangehensweise an Politik mit mehr direkter Demokratie stellte Roman Huber von Mehr Demokratie mit Hilfe eines Videoclips vor. Wenn Bürger*innen, die per Los gezogen werden, an den wichtigen Entscheidungen unserer Gesellschaften beteiligt sind, könne eine neue, respektvollere und verantwortungsvollere Form der Demokratie entstehen, so Huber. Prof. Dr. Sabrina Zajak vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung konnte interessante Einblicke in die Forschung über zivilgesellschaftliche Partizipation und soziale Bewegungen geben.

Soziale Ungerechtigkeit wurde in der Diskussionsrunde am Stehtisch thematisiert. Unter den Folgen der Klimaschäden hätten vor allem die Ärmsten zu leiden, sagte Almuth Schauber von Misereor und erzählte von der enormen Luftverschmutzung Delhis. Neben ihrer Arbeit bei Misereor hat Schauber ehrenamtlich den erfolgreichsten Radentscheid Deutschlands mitorganisiert: Mehr als 37.000 Wahlberechtigte in Aachen haben das Bürgerbegehren „Aachen sattelt auf - Radentscheid für eine lebenswerte Stadt“ unterschrieben. „Wir bringen den Klimaschutz vor die Haustür“, sagte Dr. Dirk von Schneidemesser von Changing Cities über die gestalterische Kraft der Bürger*innen. Nach dem Volksentscheid Fahrrad in Berlin, aus dem das bundesweit erste Mobilitätsgesetz hervorging, hat Changing Cities inzwischen 29 Radentscheide in ganz Deutschland auf den Weg gebracht.

Von einem schönen Erfolg konnte auch Sylvia Hartmann von der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) berichten: Im Bundesgesundheitsministerium soll eine komplett neue Abteilung ins Leben gerufen werden, in der Klima, Nachhaltigkeit und Gesundheitsschutz behandelt werden. Last but not least erklärte Regine Richter von urgewald, welch wichtigen Beitrag Divestment leisten kann: urgwald appelliert an die Verantwortung von Banken, Versicherungen und Investor*innen, Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen nicht mehr zu finanzieren. Mit effektiven Kampagnen und gründlichen Recherchen wie der Kohle-Datenbank „Global Coal Exit List“ bringt urgewald Kohlekonzerne in Finanzierungsnot.

Welcher Ansatz verhilft uns nun zur ambitionierten Klimapolitik? Divestment, Druck auf der Straße, globale Vernetzung, kommunale Initiativen oder neue demokratische Beteiligungsformen? Den Generalschlüssel haben wir auch an diesem Abend (noch) nicht gefunden. Die zahlreichen Erfolge unserer Mitglieder und Mitstreiter*innen belegen aber, dass auch im Klimaschutz viele Wege nach Rom führen. Und dass es sich lohnen kann, unterwegs in Aachen vorbeizuschauen.

Eindrücke vom #12 Berliner Klimagespräch