Wie geht’s weiter im Rheinischen Revier? Es ist ganz viel zivilgesellschaftliche Kraft da. Initiativen, Vereine und Verbände blicken auf Erfolge und Niederlagen zurück, brennen für alternative Visionen, bringen Vorschläge in die regionale Debatte ein, probieren Dinge aus.
Diese Ideen und Projekte, Kompetenzen und Kontakte, Menschen und Ressourcen zu verbinden, verleiht der Bewegung neue Kraft und wandelt langfristig Strukturen. Mit dieser Hoffnung gestalteten Klima-Allianz Deutschland, Buirer für Buir, Allianz für nachhaltigen Strukturwandel (ANSEV) und Dörfergemeinschaft KulturEnergie am Freitag, 23. Juni im Morschenich-Alt ein Vernetzungstreffen im Rahmen der erstmalig stattfindenden Temporären Universität Hambach.
Zeitgleich stellte der Abend einen Abschluss dar: Seit Herbst 2016 hatte die Klima-Allianz Deutschland zivilgesellschaftliche Organisationen und Engagierte zur Kohlerunde NRW eingeladen, um sich rund um den Kohleausstieg zu vernetzen und die Bewegung für Klimagerechtigkeit zu unterstützen. Seitdem ist im Land viel passiert, von „Hambi bleibt!“ zur Kohlekommission, über das Konzept „Gutes Leben und gute Arbeit“ des Zivilgesellschaftlichen Koordinierungskreises und Fridays for Future zu früherem Kohleausstieg, zu Alle Dörfer bleiben und „Lützerath lebt!“. Im Januar 2023 hatte ein breites Bündnis zivilgesellschaftlicher Akteure mit dem 10-Punkte-Papier eine Neujustierung des Strukturwandelprozesses gefordert.
Nach den jüngsten Vorgängen rund ums Revier sortiert sich die Landschaft neu, richtet sich der Blick zunehmend auf die Frage, wie die engagierte Zivilgesellschaft die Region mitgestalten kann. Gleichzeitig gilt es weiterhin die Lebensgrundlagen zu schützen und übermäßige Konzerninteressen abzuwehren, wie Menschen von der Mahnwache „Lützerath lebt“ mit Blick auf die bedrohte Verbindungsstraße L12 betonten. Auch Alle Dörfer bleiben ist noch aktiv, es soll möglichst viel Kohle in der Erde bleiben, im Osten wie Westen.
Wie sehen die Rahmenbedingungen für Engagement jenseits eines möglichen Bürgerfonds aus? Die Anna Kante eG erwirbt Gebäude und Grundstücke, um solidarisches Leben und Arbeiten in den Dörfern am Rande der Tagebaue zu unterstützen. Die Dörfergemeinschaft KulturEnergie e.V. entwickelt mit der örtlichen Bevölkerung Lösungen für eine Wiederbelebung der Dörfer. Dafür bedarf es auch Teilhabe an Entscheidungsstrukturen und Fördergelder des Strukturwandels. Dass es diese gibt, ist ja wesentlich dem bisherigen Engagement der Zivilgesellschaft zu verdanken.
Was hier zivilgesellschaftlich getragen geschieht, ist modellhaft für andere Regionen, die mit einem Umbruch konfrontiert sind. Bedeutsamer Schlüssel für nachhaltige Entwicklung ist Bürgerbeteiligung, wie sie die Demokratiewerkstatt Rheinisches Revier im Fokus hat und durch Projekte forciert. Hier sind Nell-Breuning-Haus und Landeszentrale für politische Bildung an Bord, die Region im Wandel zu begleiten und zu unterstützen. Eine weitere Institution im zivilgesellschaftlichen Netzwerk ist der Evangelische Kirchenkreis Jülich. Er kann nicht nur in Versammlungen wie jüngst bei der Entwicklungskonferenz in Düren, sondern auch in Hintergrundgesprächen Einiges bewegen.
Überhaupt gewinnt die Frage der Zusammenarbeit stetig an Gewicht, um einer von unten und selbst organisierten Mitgestaltung des Wandels Schub und neue Wirkkraft zu geben. Der Abschlussbericht der Kohlekommission hatte 2019 gefordert, „die Strukturwandelprozesse von unten in den Braunkohleregionen zu stärken“ (KWSB/Abschlussbericht Kohlekommission 2019, S.101). Wie die im Mai 2023 erschienene Studie Strukturwandel des Rheinischen Reviers: Partizipation der Zivilgesellschaft zwischen Anspruch und Wirklichkeit allerdings zeigt, ist der ebenso versprochene „Zivilgesellschaftliche Dialog für Teilhabe an der Zukunftsgestaltung“ bislang unzureichend von Politik und Verwaltung akzeptiert und umgesetzt worden.
Entspannt im Miteinander, klar in der Sache, bot dieses Treffen eine Plattform, sich besser kennenzulernen: persönlich, politisch, kulturell. Die Vielfalt faszinierte und begeisterte, in der Begegnung, am Buffet, sowohl im Musikprogramm von Julie & Me sowie den Schmodders, als auch in der Poesie von Anne Klein.
Perspektivisch könnte die Vernetzungsstruktur, die den Arbeitstitel „Plattform Zivilgesellschaft Rheinland“ trägt, den Rahmen für Kooperation bilden. Sie führt die vorwärts gerichteten Aktivitäten fort und zusammen. Dieser Ausblick rundete das Treffen in Morschenich-Alt ab und passte bestens in den Rahmen der Temporären Universität Hambach mit ihrer Suche nach neuen Perspektiven für das Braunkohlevier.