07.12.2023
News von Mitgliedern

Jüdisch-Muslimischer Appell: Wir brauchen einander – gerade jetzt!

Jüdinnen und Juden, Musliminnen und Muslime in Deutschland appellieren für mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt und rufen dazu auf, den interreligiösen Dialog als gestalterische Kraft und notwendige Voraussetzung für die Bewältigung unserer globalen Probleme zu verstehen: Artensterben und Klimawandel kennen keine religiösen oder nationalen Grenzen. Der erste Anstoß zu dem Appell entstand im Rahmen einer „Zukunftswerkstatt Kultur und Klimaschutz“ der Klima-Allianz Deutschland.

 Menschen pflanzen gemeinsam einen Baum. Interreligiöse Baumpflanzaktion bei einer Zukunftswerkstatt der Klima-Allianz Deutschland. Foto: Barbara Ritzkowski
Interreligiöse Baumpflanzaktion bei einer Zukunftswerkstatt der Klima-Allianz Deutschland. Foto: Barbara Ritzkowski

Als Juden und Jüdinnen, Muslime und Musliminnen in Deutschland engagieren wir uns seit Jahren für den interreligiösen Dialog, für den Klima- und Umweltschutz und für eine „Einheit in Vielfalt“.

Deutschland verfügt über einen großen Reichtum an interreligiösen, religionsübergreifenden und interkulturellen Initiativen. Wir Autorinnen und Autoren bringen uns mit Leidenschaft in solche Initiativen ein. Ob in Gemeinden oder Universitäten, Umweltinitiativen oder interreligiösen Kulturprojekten, ob aus religiöser oder aus humanistischer und demokratischer Überzeugung – wir alle setzen uns für ein zukunftsverträgliches und kulturell vielfältiges Leben innerhalb der planetaren Grenzen ein. Gemeinsam mit unseren christlichen Freundinnen und Freunden bringen wir die Vielfalt unseres Landes und die Schönheit der Religionen zum Leuchten. Wir übersetzen unsere überlieferten Werte in die Gegenwart und sorgen dafür, dass Klima- und Umweltschutz anschlussfähig für die Welt der Religionen bleiben.

Wir wissen es zu schätzen, dass wir in einem Land leben, in dem ein solches geeintes und partnerschaftliches Handeln möglich ist. Diese Haltung des respektvollen Miteinanders ist heute wichtiger denn je. Dies gilt in der Weltpolitik ebenso wie hier in Deutschland. Artensterben und Klimawandel kennen keine religiösen oder nationalen Grenzen und können nur gemeinschaftlich eingedämmt und bewältigt werden.

Damit dieses dringend erforderliche gemeinschaftliche Handeln möglich ist, braucht es ein gemeinsames Friedens- und Wertefundamt. Momentan ist die interreligiöse, religions- und kulturübergreifende Zusammenarbeit massiv gefährdet. Die schrecklichen Geschehnisse im Nahen Osten lassen niemanden von uns unberührt. Viele interreligiöse Strukturen, Projekte und Freundschaften drohen zu zerbrechen. Auch wir, die Autorinnen und Autoren dieses Textes, bewerten die politische Lage unterschiedlich und stimmen nicht in allen Interpretationen überein. Aber dies hält uns nicht davon ab, den Schmerz der Anderen anzuerkennen und gemeinsam um die Opfer in der Zivilbevölkerung Palästinas und Israels zu trauern.

Ja, als Musliminnen und Muslime leiden wir besonders mit unseren palästinensischen Glaubensschwestern und -brüdern. Aber diese religiöse Nähe legt uns nicht auf eine einseitige Parteilichkeit fest. Wir sind uns einig darin, dass die grausamen Taten der Hamas am 7. Oktober in fundamentalem Widerspruch zum Friedensauftrag des Islam stehen. Im Koran heißt es: „Wenn jemand einen Menschen tötet, so ist es, als hätte er die ganze Menschheit getötet (Sure 5:32)“. Wir sind zutiefst bestürzt über die Brutalität dieses Angriffs und darüber, dass er ganz besonders jene Menschen getroffen hat, die sich für eine friedliche Nachbarschaft und für die Verständigung zwischen unseren Schwesterreligionen eingesetzt haben.

Ja, als Jüdinnen und Juden leiden wir besonders mit den Menschen in Israel. Aber diese Verbundenheit legt uns nicht auf eine einseitige Parteilichkeit fest. Der Prophet Jesajah schrieb einst: „Keine Nation wird gegen eine andere das Schwert erheben, und das Kriegshandwerk werden sie nicht mehr lernen“ (Jesajah 2, 4). Wir sind entsetzt über das gewaltige Leid und über die hohen Opferzahlen auf palästinensischer Seite. Die Gegenoffensive Israels hat ein furchtbares Maß an Tod, Zerstörung und Traumatisierung hervorgebracht.

Uns alle, ob jüdisch oder muslimisch, verbindet das Mitgefühl mit allen Menschen, die unter diesen schrecklichen Umständen zu leiden haben und die in den letzten Wochen ihre Kinder und Eltern, ihre Angehörigen und Nachbarn verloren haben. Uns verbindet die Verzweiflung angesichts einer langen und zermürbenden Vorgeschichte auf beiden Seiten: Auf der Seite des palästinensischen Volkes, das schon so lange unter Besatzung und mit dem Schmerz des Heimatverlustes leben muss. Auf der Seite des israelischen Volkes, das sich im Laufe seiner Geschichte immer wieder mit Angriffen auf seine Existenz und auf sein Existenzrecht konfrontiert sah und sieht. Uns verbindet die Überzeugung: Es kann nicht der richtige Weg sein, dieses Leid immer weiter zu vergrößern. Es wäre falsch, diese Geschichte des Unfriedens immer weiter fortzuschreiben und an die nächste Generation zu vererben.

Vor allem aber verbindet uns Autorinnen und Autoren unsere Sorge um die Zukunft. Jedes Zehntel Grad Erderwärmung wird die Menschheit vor neue, riesige Herausforderungen stellen. Jeder Krieg und jeder feindliche Angriff macht es unwahrscheinlicher, dass wir diese Herausforderungen gemeinsam bewältigen. Gerade der Nahe und der Mittlere Osten sind schon jetzt besonders hart von Dürre und extremer Hitze betroffen. Verfehlt die Weltgemeinschaft ihre Klimaziele, dann werden die Folgen in dieser verletzlichen Region ein existenzbedrohendes Maß annehmen.

Die Menschen im Nahen Osten brauchen gerade jetzt so viele Friedensbemühungen und so viel Klimaschutz wie möglich. Die klimatisch verletzlichen Regionen dieser Welt brauchen gerade jetzt eine Weltgesellschaft, die sich nicht in weitere Polarisierungen hineintreiben lässt und den existentiellen Herausforderungen unserer Zeit entschieden begegnet. Das weltweite Bemühen um Klimaschutz und Frieden braucht gerade jetzt möglichst viele gute Beispiele dafür, dass Verständigung und Zusammenhalt stärker sind als das Schüren von Ängsten und Feindseligkeit. Wir alle brauchen gerade jetzt eine Klimabewegung, die nicht durch einseitige Schuldzuweisungen zur Spaltung beiträgt und ihrer gemeinsamen Sache schadet, sondern die sich für den Zusammenhalt stark macht. Deutschland braucht gerade jetzt die Stimme des Judentums und des Islam, so wie auch wir die Stimmen der jeweils anderen, des Christentums und der säkularen Zivilgesellschaft brauchen.

Wir appellieren deshalb an alle politisch, religiös und kulturell Engagierten, respektvoll aufeinander zuzugehen, einander zuzuhören und nicht nachzulassen, nach Möglichkeiten der Verständigung und des konstruktiven Miteinanders zu suchen. Ein solcher Zusammenhalt über die Grenzen der Religionen und Staaten hinweg ist für uns alle überlebenswichtig. Wir brauchen einander – gerade jetzt!
 

  • Nasrin Bani Assadi hat an der Universität Bonn in interreligiösem Dialog promoviert.
  • Tuba Işık ist Professorin für Islamische Religionspädagogik und Praktische Theologie an der Humbold-Universität Berlin.
  • Susanne Jakubowski ist Architektin und Koordinatorin des Rates der Religionen Stuttgart.
  • Assaf Levitin arbeitet als freiberuflicher Sänger und ist Kantor der liberalen jüdischen Gemeinde in Hamburg.
  • Mira Sievers ist Professorin für Systematische Theologie, Mystik und Philosophie an der HU-Berlin.
  • Alon Wallach ist musikalischer Leiter des interreligiösen Trimum e.V. und engagiert sich in der Klima-Allianz Deutschland.
  • Rana Alsoufi ist Professorin für Islamisches Recht an der Goethe Universität Frankfurt.
  • Selçuk Çelik ist Sozialpädagoge in Bonn.
  • Jonathan Schorsch ist Professor für Judaistik in Potsdam. Er gründete und leitet die Jewish Activism Summer School sowie das Green Sabbath Project.
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Alon Wallach

Musikalischer Leiter
Trimum e.V.

info@trimum.de