02.12.2022
News von Mitgliedern

Sozial gerecht und ökologisch ambitioniert

Die Evangelischen Akademien in Deutschland haben mit Klaus Breyer, Leiter des Instituts für Kirche und Gesellschaft, ein Interview über den menschengemachten Klimawandel, die damit verbundenen Herausforderungen und die Notwendigkeit der gesamtgesellschaftlichen Transformation geführt.

Diskurse: Herr Breyer, seit vielen Jahren arbeiten Sie zu umwelt- und klimapolitischen Themen. Was treibt Sie derzeit besonders um?


Klaus Breyer: Das Ziel des Pariser Klimaabkommens, die Erderhitzung auf unter 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, wurde bereits vor dem Ukraine-Krieg verfehlt – sowohl von der internationalen Staatengemeinschaft als auch von Deutschland. Mit dem verbrecherischen Krieg Russlands gegen die Ukraine sind weitere Krisen, die sich zum Teil überlagern und hochschaukeln, hinzugekommen. Die Bewältigung der Klimakrise ist nochmals komplexer und schwieriger geworden. Der Zeitdruck für die anstehende Transformation wurde erneut größer und das Zeitfenster kleiner. Die katastrophalen Folgen der Klimaveränderung sind überall deutlich zu beobachten. Aber auch weitere planetare Grenzen werden radikal überschritten. Der bedeutende Verlust von Biodiversität zum Beispiel zerstört schleichend, dafür umso «nachhaltiger», unsere Lebensgrundlagen. Steuern wir auf ein großes Disaster zu oder kann das Umsteuern noch konstruktiv gelingen? Change by design or by disaster!?
Diese Frage treibt mich sehr um!

Infolge des Kriegs in der Ukraine sind bekanntlich die Energiepreise erheblich gestiegen. Was bedeutet das für den Klimaschutz? Verliert e dadurch an Aufmerksamkeit oder ist das vielleicht sogar die große Chance für den endgültigen Durchbruch der Erneuerbaren?

Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass neben dem verabscheuungswürdigen Ukraine-Krieg auch der Klimawandel keine «Pause» macht. Bei sich überlagernden Krisen, wie wir sie gerade erleben, sind synchrone, produktiv aufeinander bezogene Lösungsstrategien notwendig. Es geht jetzt darum, Sicherheitspolitik, Versorgungssicherheit und Klimaschutz miteinander zu verknüpfen. Dabei darf nicht das «Ob» des  Klimaschutzes zur Diskussion stehen, sondern das «Wie». Wir müssen, auch wegen des Ukraine-Kriegs, noch schneller aus fossilen Energieträgern austeigen. Die Abkehr vom russischen Gas kann dabei zum Treiber für die Transformation, für denAusbau der Erneuerbaren, für mehr Energieeffizienz und Energiesparen werden. Diese Entwicklung ist jedoch alles andere als sicher. Sie ist kein Automatismus. Sie kann auch in die Gegenrichtung laufen und neue nichtnachhaltige Abhängigkeiten schaffen: etwa durch die bereits erfolgte Aussetzung der CO2–Bepreisung, durch neue fossile Lock-In-Effekte beispielsweise als Folge der im Aufbau befindlichen Flüssiggasinfrastruktur, die übermäßige Verlängerung der Braunkohle-Nutzung. Selbst eine Renaissance der Atomenergie ist wieder diskussionswürdig geworden.

In Deutschland ist der Atomausstieg beschlossene Sache, nur noch drei Kraftwerke sind derzeit in Betrieb. Andere Länder wie Frankreich oder Schweden setzen weiterhin auf Atomkraft. Wäre es auch für Deutschland klug, die Atomkraft als Brückentechnologie noch so lange weiter zu nutzen, bis die Erneuerbaren den Strombedarf decken können?

Nein! Aufgrund ihres Betriebsrisikos und immensen, irreversiblen Schadenpotenzials, aber auch wegen ihrer Inflexibilität sind AKWs keine Brückentechnologie. Die Argumente, die nach Fukushima nach langen politischen Auseinandersetzungen zum deutschen Atomausstieg führten, sind durch den Ukraine-Krieg nicht gegenstandslos geworden. Zudem gibt es nach wie vor kein Endlager. Jedes weitere Betriebsjahr – speziell die Neubestückung mit Brennstäben – lässt nicht nur das sogenannte «Restrisiko» anwachsen, sondern auch die Atommüllmenge und verlagert noch mehr Verantwortung auf nachwachsende Generationen. Die gerade zu beobachtenden hohen Strompreise hängen zum einen von einem Merit-order-Effekt ab, der durch die preisbildenden Gaskraftwerke entsteht. Das sind Kraftwerke, die systemisch gar nicht durch Atomkraftwerke ersetzt werden können. Zum anderen haben sie ihren Grund in der Verknappung elektrischer Energie auf dem Europäischen Strommarkt. Diese Verknappung ist unter anderem durch mehr als 30 französische Atomkraftwerke (!) entstanden, die sich im außerplanmäßigen Reparaturstillstand befinden oder die aufgrund der durch den Klimawandel ausgelösten Trockenheit abgeschaltet werden
mussten. Erkennbar sind hier weitere, gewichtige Argumente für einen Atomausstieg. Die Zukunft gehört einer Energieversorgung, die klimafreundlich, risikoarm und kostengünstig ist. Der naturverträgliche
Ausbau der Erneuerbaren muss daher deutlich beschleunigt werden. Gleiches gilt auch für den Ausbau der Energieeffizienz und schlicht für das Energiesparen. Das sind die eigentlichen Brücken in die energetische Zukunft. Hier besteht großer Handlungsbedarf. Ich fürchte jedoch, wir werden im Frühjahr die Fortführung des Konflikts um die Nutzung der Atomenergie erleben.

Welche Maßnahmen wären jetzt die wichtigsten, um den klimafreundlichen Umbau der Gesellschaft voranzubringen? Wie kann es gelingen, beim Klimaschutz möglichst breite Teile der Bevölkerung mitzunehmen?

Der Umbau muss sozial gerecht erfolgen und ökologisch ambitioniert sein. Es ist wesentlich, dass das eine nicht gegen das andere ausgespielt, sondern miteinander verknüpft wird. Bei explodierenden Energiekosten und einerhohen Inflationsrate wächst bis in die Mittelschicht hinein die Sorge vor Verarmung, vor Strom- und Gassperren und sogar Wohnungsverlust. Zunehmend nutzen rechte und rechtsextreme Gruppierungen diese Situation. Sie schüren Angst und Hass. Sie versuchen, das Regierungshandeln zu delegitimieren und die Gesellschaft zu spalten. Wie erfolgreich dies sein kann, zeigen die Wahlerfolge der Rechtsextremen und Rechtspopulisten in Schweden und Italien, aber auch die Erfolge der AfD in Niedersachsen. Gefordert ist jetzt eine Politik, die konsequent aus einer ökologisch-sozialen Perspektive entwickelt wird und vorrangig die Bedarfe benachteiligter und einkommensarmer Menschen berücksichtigt. Es bedarf eines stetigen Lastenausgleichs, der die Kosten der Transformation, das heißt für Klimaschutz und Versorgungssicherheit, gerecht verteilt. Die Entlastungspakete und die Überlegungen zur Deckelung des Gas- und Strompreises gehen im Prinzip in die richtige Richtung. Sie reichen für Bedürftige jedoch in ihrer Höhe oft nicht aus oder drohen zu spät zu kommen. Da zudem die Hilfen nach dem Gießkannenprinzip verteilt werden, profitieren Reiche mehr als Bedürftige. Das stört nicht nur das Gerechtigkeitsempfinden: Diese Programme sind auch sehr kostspielig. Dadurch binden sie Finanzmittel, die an anderer Stelle fehlen – bei der Unterstützung Bedürftiger, im Ausbau des ÖPNV. Hier sehe ich deutlichen
Verbesserungsbedarf.

Wie nehmen Sie die Positionen der Evangelischen Kirche mit Blick auf den geplanten sozialen und ökologischen Umbau der Gesellschaft wahr?

Die Ratsvorsitzende Annette Kurschuss hat unter dem Eindruck des Ukraine-Kriegs klare Positionen vertreten und aufgerufen, beim Klimaschutz keine faulen Kompromisse zu machen und die womöglich größte Krise der Menschheit zu negieren. Der Dürre- und Waldbrandsommer 2022 habe gezeigt: Die Klimakrise warte nicht, bis Kriege entschieden sind und der Friede gewonnen sei. Die leitende Theologin setzt auf gesellschaftliche Solidarität. «Wir müssen diejenigen in Mitverantwortung nehmen, die über große Einkommen und großes Vermögen verfügen. Starke Schultern können und müssen mehr tragen – das ist ein zentraler Grundsatz unseres Glaubens und auch der sozialen Marktwirtschaft».

In meiner Landeskirche, der Evangelischen Kirche von Westfalen, ist das landes- und bundespolitische Engagement von besonderer Bedeutung. Hier ist die Klimaallianz Deutschland zu nennen, die in der Evangelischen Akademie Iserlohn (heute Villigst) gegründet wurde und ein breites bundespolitisches Bündnis für konsequenten Klimaschutz ist, an dem zahlreiche Kirchen, Gewerkschaften, Umwelt-, Sozial-, Entwicklungsverbände und viele weitere Initiativen mitwirken. Ein weiteres wichtiges Anliegen ist uns die breite Beteiligung wesentlicher gesellschaftlicher Akteure bei der Gestaltung und Umsetzung des Transformationsprozesses. Durch Partizipation entsteht Motivation und Akzeptanz. Eine erprobte Plattform für die nun anstehenden strategischen Diskurse zwischen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft sind die von unserer Kirche mit ins Leben gerufenen Initiativen Klimadiskurs NRW sowie – auf kommunaler Ebene – die Landesarbeitsgemeinschaft Agenda 21.

Echtes «Kehren vor der eigenen Tür» ist sehr wichtig für die politische Glaubwürdigkeit der Kirchen. Die westfälische Kirche hat sich verpflichtet, bis 2040 – möglichst bis 2035 – klimaneutral zu sein. Unser Institut hat mit externer fachlicher Unterstützung eine Klimaschutzstrategie erstellt, die Pfade zur Erreichung dieses Klimaschutzzieles aufzeigt. Zurzeit arbeiten wir an einem kirchlichen Klimaschutzgesetz, das den rechtlichen Rahmen für die Umsetzung der Klimastrategie beschreibt. Die westfälische Landessynode hat zudem einen Betrag von jährlich 4 Prozent des Gesamtkirchensteueraufkommens für Investitionen in Klimaschutz und Klimaanpassung sowie für den Aufbau des landeskirchlichen Energiemanagements bereitgestellt. Kirchen können darüber hinaus in ihren ökumenischen Partnerschaften gemeinsame Projekte für den Klimaschutz, aber auch der Klimaanpassung anstoßen. Schließlich sind Geldanlagen der Kirchen ein wichtiger Hebel.

In welcher Rolle sehen Sie die Evangelischen Akademien in der aktuellen, von Krieg, Pandemie und Klimakrise geprägten Situation?

Notwendig ist eine ökologisch-soziale Transformation, die klimapolitische und soziale Ziele verfolgt und Lasten und Gewinne gerecht verteilt. Doch wie kann diese Strategie partizipativ entwickelt und unter Beteiligung und mit Akzeptanz der Zivilgesellschaft weiter fortgeschrieben werden? Dafür braucht es Orte, wo unter breiter gesellschaftlicher Beteiligung wesentliche Teile des Transformationsprozesses intensiv diskutiert, ausgehandelt, auf Wirksamkeit überprüft und auch besonders die Perspektiven einkommensarmer Menschen berücksichtigt werden, wo Akteure aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft auf Augenhöhe ihre Interessenskonflikte offenlegen können, wo gemeinsam nach Konvergenzen und nach Wegen zur Überwindung von Blockaden gesucht, gemeinsames Handeln verabredet und Transformations- Allianzen gebildet werden.

Die Evangelischen Akademien sind mit ihrer Diskurstradition und methodischen Erfahrung anerkannte «dritte Orte» für viele dieser Klärungsprozesse. Als «Diskursagenturen» finden sie Akzeptanz in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Ihre Diskursangebote können daher helfen, zentrale transformative Fragen zu klären, fundierte Lösungsstrategien zu entwickeln und Akzeptanz zu schaffen. Mit anderen Worten: Akademien sind ein Dienst der Kirche an der Gesellschaft im Transformationsprozess. Die Akademien können entlang ihrer thematischen Schwerpunktsetzungen und Netzwerk-Kontakte Diskursangebote machen. Dazu gehören etwa Diskurse zur Stabilisierung und Weiterentwicklung des gesellschaftlichen Zusammenhalts, zum Ausbau der Erneuerbaren Energien, zur Technikfolgenabschätzung, zur Sicherung und Weiterentwicklung des Wirtschaftsstandorts, zu Fragen transformativer Lebensstile et cetera. Vieles davon passiert bereits in den Akademien. Es wäre meiner Meinung nach reizvoll und lohnend, noch intensiver den Austausch zu suchen, Verbindungslinien und strategische Rückschlüsse zu ziehen und dazu unter dem Dach der EAD ein «Transformationsnetzwerk» der Evangelischen Akademien zu etablieren.

 

Klaus Breyer, geboren 1957 in Gelsenkirchen, studierte Theologie und Psychologie. Als Vikar lernte er in Dortmund die praktische, sozialethisch orientierte Gemeindearbeit kennen. Von 1990 bis 2009 war er Umweltreferent, später Umweltbeauftragter der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW) sowie Studienleiter für Umweltethik und Schöpfungstheologie an der Evangelischen Akademie Iserlohn/Villigst. Seit 2009 leitet er das Institut für Kirche und Gesellschaft in Villigst. Klaus Breyer ist Mitglied im «Team Nachhaltigkeit» des Wuppertal Instituts und im Beirat Klimaschutz des Landes NRW. Er engagiert sich in den Leitungsgremien mehrerer klima- und umweltpolitischer Akteure, u. a. im Stiftungsrat der Stiftung Umwelt und Entwicklung des Landes NRW (www.sue-nrw.de) sowie in den Vorständen des Klimadiskurses NRW (www.klimadiskurs-nrw.de), der Landesarbeitsgemeinschaft Agenda 21 NRW (www.lag21.de) und der Klimaallianz Deutschland (www.klima-allianz.de).

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